In der Sprachschule Gottes
Was unsere Gemeinden von innen zerstört

Die klatschende und tratschende Person im Treppenhaus, die über alle Bewohner des Hauses Neuigkeiten zu verbreiten weiß und sich sowie den anderen damit ein diebisches Vergnügen bereitet, gehört offensichtlich zum festen Bestandteil der Boulevard-Unterhaltung. Was hier allerdings so harmlos und unterhaltsam daherkommt, kann im wirklichen Leben ganz andere Dimensionen annehmen. Denken wir an die anschaulichen Bilder von den Federn, die aus einem Fenster geschüttelt durch die Straßen fliegen und nicht mehr zurückzuholen sind, genauso wenig wie Gerüchte. Oder wir haben die fratzenartigen Zungen vor Augen, die sich durch Häuserschluchten züngeln und ihr Gift in alle Fenster versprühen: Das Gerücht, die böse Nachrede, irgendwo ausgesprochen und nun unaufhaltsam mit zerstörerischer Kraft unterwegs ...
Beispiele einer gezielten Demontage von Menschen, die verdächtigt, herabgesetzt, lächerlich gemacht wurden und das nie mehr ganz loswerden, selbst wenn die Unrechtmäßigkeit dieser Unterstellungen bewiesen werden konnte, haben uns die Medien immer wieder einmal beschert. Rufmord ist der ungeschminkte Ausdruck für dieses menschenverachtende Verhalten. Was auf der politischen und gesellschaftlichen Ebene zu beklagen ist, findet sich en miniature in jeder Gesellschaftsform.
Ein ehrlicher Blick auf die Geschichte unserer Gemeinden wird uns mit der erschreckenden Wahrheit konfrontieren, dass böse Gerüchte und üble Nachrede zu den belastenden und zerstörerischen Einflüssen gehören, an denen Gemeinden über Jahre hin leiden, derer wir uns aber kaum erwehren und die die missionarische Kraft der Gemeinde blockieren können.
Wir kennen uns seit Jahren, haben eine gemeinsame Geschichte, nehmen persönliche Anliegen auf, um sie in der Fürbitte vor Gott zu bringen, nehmen Anteil am persönlichen Ergehen wie an familiären und beruflichen Schwierigkeiten - und speichern diese Informationen. Irgendwann werden sie als Gesprächsstoff missbraucht, verzerrt, mit entsprechender Mimik und Betonung in Umlauf gebracht und allzu bereitwillig aufgenommen und weiterverbreitet... Man könnte an den Stille-Post-Effekt erinnert werden, nur dass es jetzt kein Spiel mehr ist!
Ein Schwelbrand ist in Gang gesetzt, der sich zunächst kaum merklich ausbreitet, aber plötzlich zu einem Flammenmeer wird. Wenn die betroffenen Personen davon hören, ist es meistens zu spät. Sie fragen sich fassungslos, wie es dazu kommen, wer daran ein Interesse haben konnte.
Wie kann so etwas passieren? Wenn wir uns nicht mit schnellen Erklärungen zufriedengeben wollen, müssen wir folgenden Wahrheiten ins Auge sehen: Auch die fromme Gemeinschaft ist nicht frei von dem Streben nach Macht, Größe und Einfluss der einen im Verhältnis zu den anderen. Wir können das zwar mit frommem Vokabular verbrämen, aber der Kampf um Ansehen, Größe und Selbstdarstellung bestimmt auch unser Miteinander in den Gruppen und Gemeinden - bis hin zu denen, die vor der Gemeinde stehen, um zu reden, zu singen, zu beten ...
Zu diesem Streben nach Anerkennung und selbstgerechter Selbstdarstellung gehört immer auch das unselige Vergleichen und Messen mit den anderen, mit ihren Gaben, Fähigkeiten, Positionen und Einflussmöglichkeiten. Selbst wenn wir Neidgefühle und Konkurrenzgedanken in der Gemeinde nicht wahrhaben wollen, suchen und finden sie ihre Opfer auch unter uns. Jesus hat dieses Denken in seinem Jüngerkreis wahrgenommen, entlarvt und korrigiert (Ek9,46-48;22,24ff.).
Hinzu kommt, dass wir in der Gemeinde unsere Unterschiedlichkeit und Fremdheit im Denken wie in Prägung und Position oft kaum ertragen können und aus ängstlicher Verlegenheit zu Projektionen und Feindbildern greifen. Plötzlich findet sich die Gelegenheit, ganz beiläufig eine Information zu streuen, die einen Schatten auf die beneidete Person wirft und das so bewunderte oder ärgerliche Bild verdunkelt. Aber das alles war natürlich nicht böse gemeint und ganz vertraulich, unter dem Siegel der Verschwiegenheit einem anderen weitergesagt.
Besonders verwerflich wird ein Betroffener die üble Nachrede dann empfinden, wenn sie aus Feigheit vor einer offenen Auseinandersetzung erfolgt. Was man dem anderen nicht ins Gesicht zu sagen wagt, wird hinter seinem Rücken geredet. Wie klein, wie unterlegen muss die Person sich fühlen, die zu einem direkten Gespräch nicht den Mut hat!?
Ganz abgesehen von denen, die ihre Geschwätzigkeit nicht beherrschen, die zu jedem etwas zu sagen wissen und auch die Neuen in der Gemeinde schnellstmöglich über Vorgänge und Verhaltensweisen im Leben einzelner Gemeindemitglieder "aufklären", die bereits Jahre zurückliegen! Was für unselige Saat ist hier gesät worden! Wie behutsam und verantwortlich müssen wir mit den Informationen umgehen, die wir in unseren Gemeinden empfangen und weitergeben!
In Gottes Sprachschule: Wie können wir als Gemeinden und als Einzelne auf dieses Problem reagieren? Zunächst werden wir dieses Verhalten als sündhaftes Vergehen benennen müssen, durch das Menschen vor Gott und anderen Menschen schuldig werden. Verharmlosung und Bagatellisierung sind hier nicht angebracht. Denn dieses Verhalten zerstört die Gemeinschaft und belastet die Beziehung zu Gott, wie es dem bösen Wesen der Sünde entspricht. Gott hat uns die Gemeinschaft in der Gemeinde nicht gegeben, um uns auf Kosten der anderen zu profilieren und angeblich Schwächere herabzusetzen, sondern damit wir über den anderen den Reichtum und die Kreativität des Schöpfers lobpreisend erkennen und die Geduld des Erlösers dankbar rühmen. Das erste und bestimmende Wort über die anderen ist der Dank für die Erwählung und Barmherzigkeit Gottes, der uns in ihnen das Ebenbild Gottes entdecken lässt. Alles herabsetzende Denken und verächtliche Reden kommt einer Verachtung des Herrn gleich, der für unsere Schwestern und Brüder gestorben ist (Rom 14, 15; l. Kor. 8, 11) und sie zu Gliedern seines Leibes berufen hat. Das kann in Lehre und Seelsorge nicht klar genug gesagt werden. Nur so geschieht geistliche Charakterbildung, wie die Praxis der frühchristlichen Gemeinden zu erkennen gibt. Bibeltexte wie Jak 3, 1-12; 4, 11 f.; Eph4, 25-32; l.Petr2, l f.; 3, 9-16 fordern zu eingehender Betrachtung auf.
Wir müssen lernen, mit unseren Kränkungen und Verletzungen so umzugehen, dass wir sie ehrlich benennen und in einem Klima des Vertrauens aufarbeiten können, damit sie sich nicht als versteckte Attacken entladen und neues Unrecht verursachen. Das, was öffentlich Schaden angerichtet hat, sollte auch öffentlich in der Gemeindeversammlung bekannt und bereinigt werden. Nur so kann dem schleichenden Gift in seiner zersetzenden Wirkung Einhalt geboten und dem Einfluss des Bösen gewehrt werden. Schließlich müssen wir eine Kultur des Umgangs miteinander einüben, bei der wir uns gegenseitig verpflichten, in der Abwesenheit des anderen kein schlechtes Gerede über ihn zu verbreiten und aufkommende böse Nachrede sofort zu stoppen, indem wir uns selbst als Hörer verweigern, nach der "Quelle" dieser "Information" fragen und zu offener Rede auffordern. Diejenigen, die Opfer der üblen Nachrede geworden, ohne das Böse aufdecken und klären zu können, bedürfen des besonderen Zuspruchs der Gemeinde. Der Schutz ihrer Würde und ihres Namens muss ihnen zugesichert werden. Wir werden sie darauf hinweisen, dass Gott das letzte und das entscheidende Wort über ihr Leben sprechen wird, und wollen versuchen, sie mit der Seligpreisung Jesu zu trösten (Mt 5, 11 f.). Wir alle werden uns immer wieder an die Verantwortung erinnern lassen müssen, die Gott uns hinsichtlich unserer Worte und ihrer Wirkungsgeschichte gegeben hat. Worte haben Wirkungen. Sie können vernichten oder aufbauen und heilen.
Das Bild von den drei Sieben mag uns helfen, das viele Gerede zu kontrollieren, indem wir unsere Worte durch das Sieb der Wahrheit, das Sieb der Notwendigkeit und das des Nutzens für den anderen prüfen, bevor wir sie in Umlauf setzen. Texte wie Jakobus 3, 1-12 gehören zum festen Bestandteil der Gemeindekatechese, die mit der Gemeinde zu bedenken, wir uns nicht scheuen dürfen. Wenn unser Reden als wesentlicher Teil unseres Lebens auch der Herrschaft Jesu Christi unterstellt sein soll, gehören diese biblischen Mahnungen mit zur Jüngerbelehrung und Glaubensunterweisung. Das gilt es, im Gemeindealltag neu zu gewichten.
Diese geistliche Perspektive dürfen wir dabei nicht vergessen: Das Wunder ist und bleibt, dass wir Menschen in und mit unserer Leiblichkeit zum Lob und zur Verherrlichung Gottes berufen sind. Mit unserer Zunge dürfen wir den ewigen Gott preisen, dürfen in den Lobgesang der himmlischen Heerscharen mit unserer Sprache, unseren Worten einstimmen. Mit unserer Zunge dürfen wir die ewige Wahrheit des Evangeliums Gottes bezeugen, mit unseren Worten das heilende, aufbauende, tröstende Wort Gottes weitersagen. Wenn wir dem Lob und der Wahrheit Gottes unsere Zunge, unsere Stimme, unsere Worte leihen dürfen, wollen wir sie dann entheiligen, entweihen durch böse Nachrede? Wir alle gehören in die Sprachschule des Heiligen Geistes, der unsere Kommunikation heilen, prägen und beleben will.

Edwin Brandt

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